Oldies spielen für Vera und alle Engelskinder
Benefizaktion des Musikvereins Bellamont mit böhmisch-mährischer Kapelle und Spielen
BELLAMONT - Die Blaskapelle Oldies gibt am Samstag, 21. September, ihr Abschiedskonzert – als Teil einer Benefizveranstaltung mit Aktionen für die ganze Familie in der Turnhalle Bellamont. Der Tag soll Geld einspielen für den Selbsthilfeverein Angelman, um die Forschung an Therapien für das Angelman-Syndrom voranzubringen und eine Anlaufstelle für Familien von Betroffenen dieses seltenen Gendefekts zu bieten. Die 19 Monate alte Vera Gaum aus Kemnat, einem Weiler in der Gemeinde Steinhausen an der Rottum, ist ein solches Engelskind. Eine von nur circa 3000 Angelman-Patienten in Deutschland. Vera ist ein überaus fröhliches Kind und blickt mit ihren wachen blauen Augen aufmerksam in die Welt. Und ganz wie andere Kinder ihres Alters „will sie überall mit ihren beiden älteren Brüdern dabei sein“, sagt ihre Mutter Irene Gaum. Und doch ist Vera anders als die meisten Anderthalbjährigen: Sie greift nicht, sitzt nicht, an die ersten Gehversuche ist bei ihr im Moment nicht zu denken. Vera leidet an einer seltenen neurologischen Erkrankung, verursacht durch einen Gendefekt. Betroffene sind körperlich und geistig stark entwicklungsverzögert, die Sprache bleibt meistens ganz aus. Das Angelman-Syndrom ist nicht heilbar, aber die Lebenserwartung normal: Vera wird wohl ihr Leben lang auf Hilfe angewiesen sein, auch als Erwachsene ein Engelskind bleiben. So werden Betroffene bezeichnet, in Anspielung auf den Namen des Entdeckers Harry Angelman – und auf die Tatsache, dass die meisten Betroffenen auffällig viel lächeln. So auch Vera. Die Eltern Irene und Stefan Gaum haben die Geschichte Anfang dieses Jahres der „Schwäbischen Zeitung“ erzählt, sie erschien zum Internationalen Angelman-Tag am 15. Februar (wer noch mal nachlesen will: www.schwäbische.de/angelman). Sie haben diesen Schritt an die Öffentlichkeit nicht bereut. „Es war ganz spannend zu sehen, wie viele Leute auf uns zugekommen sind“, sagt Irene Gaum. Viele im Umfeld hätten schon vorher gehört gehabt, dass mit Vera irgendetwas ist, „jetzt können sie mit uns darüber reden“.
Hubert Wiest hilft in der Nähe
Auch die Benefizveranstaltung am 21. September geht darauf zurück. Hubert Wiest aus Ochsenhausen, der beim Musikverein Bellamont die Tuba bläst und das Orchester über zehn
Jahre hinweg auch dirigiert hatte, ergriff die Initiative. Wiest leitet daneben die Kapelle Oldies und macht mit ihr seit 23 Jahren böhmisch-mährische Blasmusik. Die 15 Musiker werden
nicht jünger „und es wird schwieriger, die Register voll zu besetzen“, sagt Wiest. „Deshalb hören wir auf.“ Die Oldies haben früher schon Wohltätigkeitskonzerte
gegeben und tragen sich schon lange mit dem Gedanken, „dass wir zum Abschied noch mal für einen guten Zweck spielen wollten“. Als er dann die Geschichte über Vera las, „sagte ich mir: Das wäre etwas. Es wird überallhin gespendet, warum nicht mal für etwas in der Nähe?“ Zumal Veras Papa Stefan Gaum Vorstand beim Musikverein Bellamont ist. Und damit es auch für die kleinen Besucher wie Vera, ihre Geschwister und Altersgenossen ein toller Tag wird, hat der Musikverein gleich noch ein Mitmach-Programm für die ganze Familie auf die Beine gestellt. Was Irene und Stefan Gaum natürlich freut. Dem Verein Angelman, für den dabei gesammelt wird, gehören sie selber an. Es ist eine Selbsthilfegruppe von Eltern Betroffener für Eltern. Dies sei sehr wichtig, „allein schon um Informationen zu bekommen“, sagt Irene Gaum. Was kommt auf unser Kind mit den Jahren noch zu? Welche spezialisierten Ärzte kennen sich überhaupt mit dieser extrem seltenen Krankheit aus? Welche Medikamente können die Symptome lindern? Dass sie sich über Fragen wie diese auf Regional und Bundestreffen mit anderen Angelman-Angehörigen austauschen können, empfinden die Gaums als sehr wertvoll. Außerdem will der Verein die Forschung über die Krankheit voranbringen.
Daten, Fakten, Spendenkonto
Die Benefizveranstaltung beginnt am Samstag, 21. September, um 14.30 Uhr in der Turnhalle Bellamont mit allerlei Aktionen für Groß und Klein: Es gibt eine Hüpfburg, Kinderschminken, Zaubervorführungen, eine Ausstellung mit Oldtimer-Traktoren, eine Tombola und vieles mehr. Für musikalische Unterhaltung ist ebenso gesorgt wie für die Bewirtung mit Kaffee und Kuchen.Um 19 Uhr beginnt dann das Abschiedskonzert der Blaskapelle Oldies, moderiert von Bernhard Bitterwolf. Sachspenden werden für den guten Zweck versteigert. Der Eintritt ist frei. Alle Erlöse und Spenden kommen der Selbsthilfegruppe Angelman e. V. zugute. Spenden sind auch sonst unter dem Stichwort „Vera – Bellamont hilft“ auf das Konto mit der IBAN DE 94 1805 1000 3110 2051 72 möglich. Weitere Informationen über die Erkrankung und die Selbsthilfegrupe gibt’s unter www.angelman.de und mehr zur Veranstaltung unter www.musikverein-bellamont.de
Vera hat eine Odyssee durch Kliniken hinter sich
Dass das Angelman-Syndrom im Säuglingsalter diagnostiziert wird wie bei Vera Gaum, ist ungewöhnlich. Häufig fallen die geistigen und körperlichen Entwicklungsverzögerungen erst im Kindesalter auf. Betroffene bleiben auf dem geistigen Stand von Kleinkindern, auch körperliche Handicaps begleiten sie ihr Leben lang und drei von vier Betroffenen bekommen Epilepsie. Erstmals beschrieben wurde das Syndrom 1965 durch den britischen Kinderneurologen Harry Angelman. Vera wurde beim Stillen nie satt. Als ihre Mutter ihr die Flasche gab, kam Vera mit blau angelaufenen Lippen ins Krankenhaus und litt unter Atemnot. Auf ein künstliches Koma folgte eine Odyssee durch Arztpraxen und Kliniken, bis ein Arzt im Memminger Klinikum das Angelman-Syndrom diagnostizierte. Die angeborene genetische Veränderung tritt statistisch bei einem von 30 000 Neugeborenen auf. Betroffene brauchen lebenslang Betreuung, da sie sich nicht selbst versorgen und Gefahren nicht erkennen können.
Text: Schwäbische Zeitung, Biberach - Tanja Bosch